Interview zur Theaterarbeit anhand des Stückes "Ladies Night"
Philipp Koblmiller im Gespräch mit Sabine Haeßler
Sabine Haeßler:
"Gratulation erst einmal zur gelungenen Umsetzung, von der ich mich ja selbst habe
überzeugen können. Sie haben zum ersten Mal Theaterregie geführt. "Ladies Night"
heißt das Stück, es basiert auf der gleichnamigen Stückvorlage von Stephen Sinclair
und Anthony McCarten. Was war das erste Bild, das Sie im Kopf hatten?"
Philipp Koblmiller:
Vielen Dank. Freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat. - Nun, wie vermutlich den meisten,
die an die Geschichte denken, kam mir als erstes die Stimmung der Schlußszene aus
der Filmvariante "Ganz oder gar nicht" in den Sinn. Wenn die Jungs sich schließlich doch
noch zusammenraufen und gemeinsam auftreten, tanzen und strippen. Man freut sich
und ist begeistert, hat aber auch vor Rührung einen Kloß im Hals, und genießt dann einfach
voller Spaß die mitreißende Musik. Dies wollte ich möglichst genauso auf die Bühne bringen."
Sabine Haeßler:
"Wie kam es zu diesem interessanten Projekt und was hat Sie an der Produktion
besonders gereizt?"
Philipp Koblmiller:
"Als Absolvent der Filmakademie bin ich ja eigentlich im Filmbereich zu Hause. Aber
ich habe mich auch schon immer für Theater interessiert. Es gab sogar eine Zeit –
noch vor dem Studium an der Filmhochschule – da war ich drauf und dran, eher in
Richtung Theater zu gehen. Ich hatte ein Praktikum bei dem Musical CATS in
London absolviert, sowie bei drei Produktionen als Regie-Assistent am
Nationaltheater in Mannheim gearbeitet. Irgendwie bin ich dann aber doch wieder
davon abgekommen und habe mich auf den Film konzentriert.
Im Frühjahr 2007 ergab sich dann die schöne Möglichkeit, wieder ans Theater
"zurückzukehren". Das Jakobus Theater suchte – ganz modern – über eine Anzeige
in einem Internetforum einen Regisseur. Da ich Zeit und natürlich Lust hatte,
antwortete ich. Wir trafen uns zu einem ersten Gespräch.
"Als ich hörte, um welches Stück es ging, war ich natürlich begeistert. Ich kannte
zwar "nur" die Filmvariante, aber der Film hatte mir sehr gut gefallen. Diese
Geschichte nun auf der Bühne erzählen zu können, fand ich großartig. Wobei ich
vermutlich auch jedes andere Stück akzeptiert hätte, da es für mich als "Filmmensch"
vor allem eine sehr große Chance war, zu einer Theaterregie zu kommen."
Sabine Haeßler:
"Wie würden Sie das Stück "Ladies Night" kategorisieren? Ist es eher kritische
Milieustudie mit humorvollen Einlagen oder wirkliche Komödie?"
Philipp Koblmiller:
"Wie mir aus anderen Inszenierungen bekannt ist, sehen die meisten Zuschauer es
sicherlich vor allem als Komödie und lachen oft und gerne. Mir war aber sehr wichtig,
daß sich die Lacher und die ernsten Momente die Waage halten. Wie man immer sagt,
je lustiger ein Stoff ist, desto wichtiger sind die ruhigen und ernsten Momente.
Gerade bei diesem Stück, das viel aus den komischen Situationen des gemeinsamen
"Nacktseins" der Männer zieht, darf man nicht zu sehr in Klamauk verfallen. Zumal es
ja mit der Arbeitslosigkeit einen sehr ernsten fast tragischen Hintergrund gibt, der die
Männer überhaupt erst dazu bringt, strippen zu wollen. Und die persönlichen
Schicksale der Männer bieten eigentlich auch überhaupt keinen Grund zu lachen.
Zumindest wollte ich erreichen, daß die Zuschauer das Theater gut gelaunt,
zufrieden aber dennoch etwas nachdenklich verlassen."
Sabine Haeßler:
"Wie bringen Sie dem Zuschauer die Charaktere und die Geschehnisse nahe? Wie
kommt es zur Identifikation mit den Figuren?"
Philipp Koblmiller:
"Ich denke, daß wir mit den fünf Charakteren eine große Bandbreite an
Identifikationspotential haben. Sei es das Alter, der gesellschaftliche Status oder
einfach nur die Wesenszüge, die fünf Männer sind alle sehr unterschiedlich, auch im
Umgang mit der Situation und ihren Problemen. So findet hoffentlich jeder im
Publikum mindestens eine Figur, die etwas an sich hat, das er auch von sich selbst
kennt. Sehr viel kommt hier natürlich auch von den Schauspielern, die den Rollen auf
eine sehr persönliche Art Leben einhauchen. Ich bin auf jeden Fall sehr glücklich
über die Besetzung. Gerade an einem so kleinen Haus wie dem Jakobus Theater ist
es manchmal nicht leicht, jede Rolle perfekt zu besetzen. Aber wir haben wirklich
genau die richtigen Leute gefunden. Jeder ist auf seine Art großartig."
Sabine Haeßler:
"Die Darsteller müssen bereit sein, sich äußerst ungeschminkt und mit aller Offenheit
zu präsentieren. Hat Sie das vor das ein oder andere Problem gestellt?"
Philipp Koblmiller:
"Das hat mich selbst etwas überrascht, da es von Anfang an überhaupt kein Problem
war. Natürlich wußten alle, was sie erwartet. Aber ich hatte es mir schwieriger
vorgestellt, mit der Nacktheit auf der Bühne umzugehen. Offensichtlich haben alle
schnell erkannt, was die Nacktheit bedeutet: kein bloßes Zurschaustellen um des
Effekts willen, sondern eine realistische Annäherung an eine Notwendigkeit des
Strippens. Es hilft natürlich, daß genau dies im Stück thematisiert wird. Schließlich
sind Greg, Barry, Graham, Norman und selbst Gavin eben gerade keine
Chippendales sondern ganz normale Männer. Und ich denke, die Schauspieler
wissen, daß das Publikum mit ihnen und nicht über sie lacht.
Aber gegen Ende der Probenzeit haben mich dann alle noch mal überrascht. Wir
hatten eigentlich vorgesehen, daß sie unter den roten Showtangas hautfarbene Slips
als "letzte Schutzhülle" tragen. Aber in der Generalprobe standen plötzlich alle fünf
ganz nackt auf der Bühne, auch wenn man das natürlich durch unser Lichtkonzept
nicht sieht. Ich hätte als Regisseur niemals so etwas gefordert. Natürlich finde ich es
so aber auch besser, und es freut mich, daß die Schauspieler sich so darauf
einlassen konnten, denn es trägt viel zur Atmosphäre bei, daß der große Auftritt am
Ende ein wirklich echter Strip ist."
Sabine Haeßler:
"Wie haben Sie sich mit einzelnen Schauspielern vertraut gemacht? Wie konnten Sie
deren jeweilige Stärken herausarbeiten und im Spiel einsetzen?"
Philipp Koblmiller:
"Das ist ein guter Punkt. An einem Haus wie dem Jakobus Theater bringen natürlich
die Schauspieler teilweise sehr unterschiedliche Erfahrungen und Talente mit. Aber
das ist als Regisseur ehrlich gesagt eine sehr schöne Herausforderung.
Es geht los mit der Wahl der Besetzung. Es gilt den schmalen Grat zwischen einer
Typbesetzung und dem Sich-in-eine-fremde-Figur-hineinarbeiten-lassen zu treffen.
Auf den ersten Blick mag es leicht sein, genau die zu nehmen, die "so sind wie die
Rolle". Aber das ist nicht für jeden Schauspieler gut. Manch einer braucht die Nähe
zur Figur, die er darstellt, ein anderer will eher etwas Distanz zwischen seinem
echten Leben und der Rolle.
Genauso gilt das für die Vorgaben durch den Text oder von mir als Regisseur.
Während es dem einen Schauspieler wichtig ist, sehr konkrete technische
Anweisungen zu bekommen, möchte der andere lieber mehr über die innere Haltung
der Figur in einem bestimmten Moment wissen, um diese dann auf seine persönliche
Art richtig zu interpretieren und umzusetzen. Das macht es sehr interessant mit den
Schauspielern zu arbeiten, da sich die Arbeit nicht auf eine bestimmte Art der
Inszenierung beschränkt.
Als Regisseur muß man diese Unterschiede erkennen, denn vieles läuft natürlich
eher zwischen den Zeilen und nicht so rational analytisch ab wie eben beschrieben.
Als jemand, der vom Film kommt, wo - wenn überhaupt - meistens leider viel zu kurz
und nur sehr ergebnisorientiert geprobt wird, habe ich das sehr genossen. Denn
diese Arbeit mit den Schauspielern, die eigentliche Regieführung, ist immer noch
das, was mir am meisten Spaß macht. Und das gibt es so eben nur am Theater.
Sabine Haeßler:
"Wie waren die Zuschauerreaktionen?"
Philipp Koblmiller:
"Überaus gut. Soweit ich es mitbekommen habe, kam die Mischung aus
beschwingter Musik-Komödie und nachdenklich angehauchter Sozialkritik sehr gut
an. Und die Zuschauerzahlen sprechen für sich: wir waren das erfolgreichste Stück
des Jahres im Jakobus Theater.
Sabine Haeßler:
"Wie würden Sie Ihre Inszenierung charakterisieren? Gab es Orientierungs- oder
Leitlinien? Gab es so etwas wie ein inszenatorisches Grundkonzept und wenn ja, wie
würden Sie es beschreiben?"
Philipp Koblmiller:
"Wenn ich mich an etwas orientiert habe, war das... mein Bauch. (lacht.)
Nein, im Ernst, das ist schwer zu beantworten... Ich komme ja, was das künstlerische
Arbeiten angeht, vom Schreiben und habe dadurch gelernt, weitgehend dem Text zu
vertrauen, wenn er gut ist. Ich denke, ich bin einfach den Linien gefolgt, die das
Stück vorgibt."
Sabine Haeßler:
"Was Sie selbst immerhin auch recht umfangreich bearbeitet haben."
Philipp Koblmiller:
"Stimmt. Dann komm ich wohl um die Frage nicht herum."
(lacht wieder und überlegt)
"Also, von Anfang an wußte ich, daß ich dem Stück mehr Tiefe verleihen wollte, als
sie die Originalfassung bietet. Das war auch etwas, was das Theater sich wünschte,
als wir die ersten Gespräche führten. Ich glaube sogar, daß meine Ausbildung als
Drehbuchautor letztendlich mit ein Grund für das Theater war, mir als Debütanten die
Regie anzuvertrauen. Es war klar, daß das Buch eine etwas umfangreichere
Überarbeitung vertragen konnte, als das vielleicht normalerweise der Fall ist.
Diese zunächst dramaturgische Absicht, dem Stück eben eine sozialrealistische
tiefergehende Komponente zu geben, zog sich dann natürlich auch weiter in die
inszenatorische Arbeit. Es war mir wichtig, daß die Darstellung der Schauspieler eine
große Natürlichkeit ausstrahlt, sowohl in der Sprechweise der Dialoge als auch in
Gestik und Mimik. Wie bereits erwähnt, wollte ich auf keinen Fall den übertriebenen
Klamauk, Slapstick und "ach so lustigen" Wortwitz, den ich in anderen
Inszenierungen gesehen hatte.
Gegen Ende der Probenzeit befürchtete ich dann allerdings, es zu weit in diese
Richtung getrieben zu haben, und hatte Angst, daß das Stück nun nicht mehr lustig
genug war. Zum Glück erwies sich dies aber als vollkommen unbegründet.
Ich kann nicht sagen, daß ich im Vorfeld ein Grundkonzept entwickelte, das ich dann
einfach durchzog. Vielmehr bekam ich im Lauf der Arbeit am Stück ein halb
bewußtes, halb unbewußtes Bild davon, wie es aussehen, sich anhören und anfühlen
sollte, so daß ich dann in den Proben all das, was nicht in dieses Bild paßte,
eliminieren konnte... Vielleicht muß ich einfach wirklich sagen, daß so etwas für mich
vor allem eine Bauchsache ist."
Sabine Haeßler:
"Sie haben jetzt ein weiteres Stück, "Die Welle" nach dem Roman von Morton Rhue
für das Jakobus Theater inszeniert. Wie würden Sie die Arbeit an "Ladies Night" mit
der neuen Inszenierung vergleichen?"
Philipp Koblmiller:
"Zunächst einmal sollten sich die beiden Inszenierungen möglichst stark voneinander
unterschieden. So ging ich hier dann doch vielleicht eher konzeptionell heran, um
das zu erreichen. Sei es das abstrakte Bühnenbild, die Führung der teilweise doch
recht künstlichen Dialoge, denen man anmerken soll, daß sie aus einem Roman
stammen, die ganz andere Nutzung des Zuschauerraums, der völlige Verzicht auf
Musik oder einfach nur das "Staging" (das Positionieren der Schauspieler auf der
Bühne und das Festlegen ihrer Bewegungen), all das soll dazu beitragen, daß "Die Welle"
einen ganz anderen Charakter hat als "Ladies Night".
Wobei ich auch hier dem starken Text vertrauen konnte, dessen Spannungsbögen
ich in der Bearbeitung noch etwas betonte, um trotz der gewollten Künstlichkeit der
Darstellung den Zuschauer zu fesseln und in den "Bann der Welle" zu ziehen.
Der konkreteste Unterschied als Regisseur war sicherlich, daß ich bei "Ladies Night"
nur fünf Schauspieler inszenieren mußte, während es bei "Die Welle" weitaus mehr
waren, nämlich vierzehn! Das ergibt natürlich eine ganz andere Dynamik, die einiges
mehr vom Regisseur fordert, sei es bei der Disziplin während der Proben oder bei
der Führung einzelner Schauspieler in Momenten, in denen das Hauptaugenmerk
auf jemand anderem liegt.
Aber das gehört zu den Herausforderungen, die mir an dem Anfang, an dem ich ja
doch immer noch stehe, großen Spaß machen und durch die ich mich
weiterentwickeln und viel lernen kann."
Sabine Haeßler:
"Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Ihre zukünftigen
Projekte."