Leseprobe
DAS LEUCHTEN
Drehbuch von Philipp Koblmiller (nach einer Vorlage von Krystof Zlatnik)
FERNSEHBILD - ABEND
Leinwandfüllend sehen wir das typisch verpixelte Bild einer
TV-Nachrichtensendung. Es laufen Bilder von Militär, dann
eine stilisierte Landkarte, die in zwei Bereiche eingeteilt
ist, die sich in der Mitte überlappen. Eine martialische
Grafik am Bildrand: "Friedensverhandlungen in Gefahr".
NACHRICHTENSPRECHER (OFF)
...die Friedensverhandlungen in der
neutralen Zone kamen erneut ins Stocken,
als unser Geheimdienst bekannt machte,
daß der Gegner seine Waffensysteme
entgegen der Bedingungen weiter ausbaut.
Vertreter unserer Regierungen verließen
daraufhin die Konferenz, um ihren Protest
zu demonstrieren. Als Reaktion wurde der
Alarmlevel Orange ausgerufen und weitere
Engel-Einheiten in Bereitschaft gebracht.
Vor einem leuchtenden Sonnenuntergang patrouillieren mehrere
ENGEL - futuristische Verteidigungsmaschinen - über der
Stadt. Das Bild wechselt auf den NACHRICHTENSPRECHER, der zum
Ende kommt und seine Papiere ordnet.
NACHRICHTENSPRECHER
Dennoch geht auch dieser Tag ruhig zu
Ende. Wir sind gleich wieder für Sie da,
nach einer kurzen Unterbrechung. Bleiben
Sie bei uns.
INNEN - WOHNZIMMER - ABEND
Ein kleiner Junge sitzt gebannt vor dem Fernseher auf dem
Boden. Er hat nachdenklich dunkle Augen und wirkt sehr zart
für sein Alter von 12 Jahren. Das ist ALEX.
Das Wohnzimmer ist nur spärlich beleuchtet. Das Licht von
einzelnen Lampen schafft Inseln in dem Chaos aus
herumliegenden Büchern und Zeitschriften. Der Jingle der
Nachrichten ertönt und ein Werbespot beginnt auf dem
Fernseher. Wir sehen grob animiert mehrere Engel, die
Strahlenschüsse aus einer böse glimmenden Wolke abwehren. Ein
Strahl geht hindurch, und nähert sich den stilisierten
Figuren einer Familie. Der Strahl prallt an den Wänden eines
Bunkers um die Familie herum wirkungslos ab.
Eine Riss-Zeichnung baut sich auf: der Eingang, darunter der
unterirdische Innenraum, eingeteilt in verschienene Bereiche:
Schlafraum, Wohnraum, Hygienebereich.
WERBE-SPRECHER (OFF)
Sie kennen die Vorteile der GNOSIS
Privatbunker. Doch wir streben danach,
Ihnen stets das Beste für Sie und ihre
Familie anzubieten. Der neue BS-2016
bringt das Erlebnis eines Privatbunkers
auf ein völlig neues Level. Mehr
Qualität, mehr Komfort und vor allem mehr
Sicherheit im Ernstfall.
Mehrere gefährlich blinkende Strahlen treffen die Hülle des
Bunkers und verpuffen. Das Bild verändert sich und zeigt
einen Bunkereingang im Garten. Davor steht eine Familie mit
Vater, Mutter und Sohn, die glücklich lächelnd in die Kamera
winken.
WERBE-SPRECHER (OFF)
Damit sie und ihre Familie sich rund um
wohl fühlen können, und dabei den besten
Schutz genießen.
Ein großes Logo der Firma GNOSIS erscheint über dem Bild.
WERBE-SPRECHER (OFF)
GNOSIS. Fühlen Sie sich sich-
Plötzlich erlischt das Fernsehbild. Alex schreckt auf.
ALEX
Hey!
Er dreht sich um. Hinter einem großen Tisch, der voll ist mit
Papieren, Büchern und einem Laptop, steht ein Mann vor einem
offenen Safe in der Wand. Das ist PHILIP, der Vater von Alex,
Ende 30. Er hat die Fernbedienung noch in der Hand und wirft
Alex einen kurzen Blick zu.
PHILIP
Laß uns essen.
Alex sitzt einen Moment da, dann steht er auf. Er betrachtet
seinen Vater, der nicht sehr gut gelaunt wirkt, unsicher und
geht dann an den Tisch. Er beginnt, ein wenig aufzuräumen.
ALEX
(kindlich begeistert)
Hast Du gesehen, das war der neue 2016.
Der kommt erst nächsten Monat. Aber in
meiner Klasse haben ihn schon drei
vorbestellt. Und zwei- haben erzählt
Er hält inne, als plötzlich die Lampen kurz flackern. Alex
schaut Philip erschrocken an. Nach einer Weile leuchtet das
Licht wieder normal und sein Vater wirft ihm einen "Siehst-Du
Blick" zu. Dann hört man draußen eine heulende Sirene. Alex
erstarrt, dann läuft er aus dem Zimmer.
INNEN - ZIMMER VON ALEX - ABEND
Alex kommt in sein Zimmer. Es ist im Gegensatz zum Wohnzimmer
sehr aufgeräumt. Auf einem Regal steht eine Reihe
kämpferischer Spielzeugfiguren, auf dem Schreibtisch liegen
Schulsachen. Alex greift nach einem kleinen Koffer, der
fertig gepackt an der Wand neben einem Regal steht. Er zögert
kurz, dann holt er aus dem Regal eine Pappschachtel. Er
öffnet sie und holt zwei alte Gaskmasken heraus. Eine legt er
in den Koffer, die andere hängt er sich über die Schulter. Er
nimmt den Koffer und rennt aus dem Zimmer.
INNEN - WOHNZIMMER - ABEND
Alex kommt schnell in das Wohnzimmer und bleibt stehen. Sein
Vater steht an dem offenen Safe hinter dem Tisch.
ALEX
Papa!
Philip wirft ihm einen kurzen Blick zu. Er holt einzelne
Blätter - undeutliche Kopien von Akten mit dem GNOSIS-Logo,
das wir aus dem Bunker-Werbespot kennen - heraus und räumt
sie in einen Aktenkoffer. Dann nimmt er ein dickes Manuskript
aus dem Safe, auf dem Titelblatt sieht man "Die GNOSIS
Story". Er überlegt kurz, dann legt er es auch in den Koffer.
Alex ist währenddessen zu ihm gelaufen.
ALEX
Wir müssen los!
PHILIP
Ganz ruhig, Alex.
ALEX
(panisch)
Komm!
Alex zieht an seinem Arm, bis Philip ihn heftig abschüttelt.
PHILIP
(laut)
Alex!
Alex fährt zusammen. Philip klappt den Laptop zusammen - kurz
sehen wir auch hier die Überschrift "Die GNOSIS-Story" - und
steckt ihn auch in den Koffer. Er schaut zögernd über den
Tisch, als überlege er, was er noch braucht. Dabei entdeckt
er die alte Gasmaske über Alex' Schulter und muß lachen.
PHILIP
Wo hast Du die denn her?
ALEX
Die ist für Dich.
PHILIP
(verblüfft)
Für mich?
ALEX
Ich hab noch eine.
PHILIP
Sowas brauchen wir doch nicht.
Philip überlegt nochmal kurz, dann nickt er und schließt den
Koffer. Er verdreht die Zahlenkombination. Er bewegt sich vom
Tisch weg und sofort läuft Alex zur Tür. Er stoppt, als er
bemerkt, daß sein Vater etwas in einem Schrank sucht. Alex
steht ungeduldig da und schaut sich unbehaglich um. Durch das
Fenster sieht man nach draußen, wo über einem letzten hellen
Streifen am Horizont der Nachthimmel erscheint. Plötzlich
zucken bunte Lichter durch den Garten und man hört donnernd
etwas über das Haus fliegen. Prompt fällt der Strom aus und
es wird dunkel.
ALEX
(lauter)
Papa!
PHILIP
Gleich.
ALEX
Was machst Du denn noch?
PHILIP
(zögernd)
Hast Du 'ne Ahnung, wo die Chips sind?
ALEX
Die hab ich doch schon längst! Oh mann!
Alex rennt zur Tür. Philip steht etwas verlegen da.
AUSSEN - VOR DEM HAUS - ABEND
Die Tür springt auf und Alex kommt mit Koffer und Gasmaske
herausgelaufen. Er rennt in die Mitte der Straße und schaut
sich suchend um. In der Dämmerung liegt die Straße still da.
Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, nur der Wind weht
unheimlich die Straße entlang. Die Sirene heult. Ein
Bunkereingang in einem Nachbargarten ist verriegelt und
blinkt rot. Alex steht verloren da. Plötzlich hört man ein
dunkles Grollen, dann fliegen mehrere ENGEL in Formation über
die Straße hinweg. Alex schaut ihnen nach, dann erstarrt er.
Am Horizont sieht man ein bedrohliches Leuchten, das aber
auch nur die untergehende Sonne hinter einigen Wolken sein
könnte.
ALEX
Papa!
PHILIP
Ja-a.
Philip kommt aus dem Haus, unter dem Arm den Aktenkoffer.
Alex holt etwas aus der Tasche und gibt es Philip.
ALEX
Hier ist Dein Chip!
Sie hasten die leere Straße entlang. Alex schaut immer wieder
ängstlich in den Himmel.
ALEX
Wir kommen zu spät. Wir kommen zu spät.
AUSSEN - KREUZUNG IN DER VORSTADT - ABEND
An einer Kreuzung wollen sie um die Ecke biegen, als der
Alarm plötzlich verstummt. Es herrscht Totenstille. Alex
schaut verwirrt zu seinem Vater. Dann ertönt eine mechanische
Stimme.
LAUTSPRECHER-STIMME
Danke, daß Sie an dieser Übung
teilgenommen haben. Es ist zu ihrem
eigenen Schutz. - Danke, daß Sie an
dieser Übung teilgenommen haben. Es ist
zu ihrem eigenen Schutz.
Alex stöhnt erleichtert auf. Sein Vater steht wütend da.
PHILIP
Die spinnen doch. Nicht schon wieder.
Philip beginnt kopfschüttelnd, wieder zurückzulaufen.
PHILIP
(im Weglaufen)
Wieviele "Übungen" wollen die denn noch
machen?
In einem Vorgarten an der Kreuzung öffnet sich zischend der
Eingang zu einem Heimbunker. Ein JUNGE in Alex' Alter steckt
den Kopf heraus und schaut sich um, dann sagt er lachend
etwas nach unten in den Bunker. Sein VATER erscheint und sie
steigen aus dem Bunker. Sie helfen der MUTTER, die ein großes
Tablett mit dem Abendessen trägt. Fröhlich redend gehen der
Sohn und die Mutter auf ihr Haus zu. Sie entdecken Alex und
Philip und grüßen sie freundlich. Der Vater nickt Alex zu und
geht noch einmal in den Bunker.
Alex steht still da und schaut lange zu ihnen und auf den
Eingang zu ihrem Bunker, der schutzgebend offen daliegt.
PHILIP (OFF)
Alex! Komm!
Philip steht einige Schritte entfernt zu Alex zurückgedreht
da. Alex reißt sich vom Bunker los und geht zu seinem Vater.
Der dreht sich um und geht davon. Alex stapft hinter ihm her.
AUSSEN - BLICK ÜBER DIE STADT - MORGEN
Die Morgensonne läßt ihre gelben, Vertrauen erweckenden
Strahlen über die Glastürme der Innenstadt streifen. Die
schwebenden ENGEL lassen sich von so viel Schönheit nicht
irritieren und ziehen weiter ihre Bahnen.
INNEN - RAUM IN DER GNOSIS-ZENTRALE - MORGEN
Der Blick über die Stadt gehört einer adretten Frau Mitte 30,
die sich nun von ihrem Spiegelbild im Fenster abwendet. Sie
steht in einem kleinen ganz weißen Raum mit einem einzelnen
Monitor in der Wand. Sie zieht nervös ihre dunkle GNOSIS
Uniform zurecht, streicht ihre Haare glatt und überprüft den
Sitz ihres Make-Ups. Das ist EVA.
Plötzlich ertönt ein leises elektronisches Klingeln und der
Monitor erwacht zum Leben. Die Frau tritt wie auf Kommando
direkt vor den Monitor. Eine Computerstimme ertönt zu einem
Bild mit dem Logo von GNOSIS.
COMPUTERSTIMME
Identifizierung.
EVA
Eva Morell, Personalnummer 2008-EM1-19-81
COMPUTERSTIMME
(nach einer kurzen Weile)
Identifiziert.
Das Bild mit dem Logo verschwindet und es erscheint ein alter
Herr mit grauen Haaren in einem schicken Sommeranzug, der auf
einer Terrasse mit einem sehr teuer anmutenden Ausblick über
eine grüne Landschaft sitzt, und sich aus einer großen Kanne
umständlich Tee eingießt. Er lächelt freundlich in die
Kamera. Das ist der DIREKTOR.
DIREKTOR
Guten Morgen. Danke, daß Sie Zeit für
mich gefunden haben.
Wie laufen die Vorbereitungen?
EVA
Alles nach Plan, Herr Direktor.
Der Direktor schüttet Zucker in seine Tasse, ohne etwas zu
sagen. Eva wartet angespannt. Er rührt die Tasse um, trinkt
und lehnt sich dann zurück.
DIREKTOR
Sie haben immer gute Arbeit geleistet,
Eva. Das wissen Sie.
EVA
(zögernd)
Danke.
DIREKTOR
Seien Sie nicht so bescheiden. Wenn ich
noch einen Rest von Menschenkenntnis in
meinem alten Schädel habe, dauert es
nicht mehr allzu lange und sie sitzen auf
meiner Seite des Monitors.
Er lacht freundlich, dann nippt er von seinem Tee.
DIREKTOR
Genau, wie ich es geplant habe.
Eva steht unsicher da. Der Direktor schlägt eine Mappe vor
sich auf.
DIREKTOR
Ich habe hier die Akte ihres Mannes.
EVA
Ex-Mann.
DIREKTOR
Natürlich.
(liest aus der Akte)
Philip Morell. Freier Journalist. Seit
mehreren Jahren keine Veröffentlichungen.
Zahlt keine Beiträge. Kein registrierter
Bunker. Ein "Anti-P" - wie manche sagen.
(schaut zu Eva)
Und Sie sind der Meinung, daß Ihr Sohn
bei ihm gut aufgehoben ist.
Eva weiß nicht, was Sie sagen soll.
DIREKTOR
(väterlich)
Eva, wann haben Sie Alex das letzte Mal
gesehen?
(er schweift ab)
Wir leben in schwierigen Zeiten. Ein Kind
kann sich leicht... an den falschen
Dingen orientieren. Das ist gefährlich.
(zu Eva)
Ich denke, Sie sollten sich um die beiden
kümmern, meinen Sie nicht?
(eine Pause)
Bevor noch etwas passiert.
Er sitzt da, trinkt und schaut Eva prüfend über den Rand der
Tasse an. Das Monitorbild erlischt. Eva steht regungslos da.
INFORMATIONSFILM
Leinwandfüllend erklärt uns ein Informationsfilm mit einem
hochmotivierten Sprecher die Situation im Land: Der mühsam
erreichte Frieden wird von Angriffen des Gegners bedroht, mit
denen täglich zu rechnen ist. Auch wenn es bisher noch keinen
der gefährlichen Angriffe gab, sollte man die Gefahr nicht
unterschätzen, sondern lieber die Zeit nutzen, um sich darauf
vorzubereiten. Denn im Angriffsfall kann es zu vielen Toten
kommen. Nach und nach kippt der Film in eine reine
Werbeveranstaltung für GNOSIS: Denn zum Glück bietet der
GNOSIS Konzern alles zum Schutze der Bevölkerung: von den
ENGELN, die pausenlos die Himmel patrouillieren, über die
großen öffentlichen Bunker, bis hin zu den privaten
Heimbunkern.
INNEN - KLASSENZIMMER - TAG
Während ein kurzer Abspann das GNOSIS-Logo zeigt, sehen wir,
daß der Film in einem verdunkelten Klassenzimmer gezeigt
wurde. Die Rolläden gehen nach oben und das hereinströmende
Licht erhellt eine Gruppe von Kindern, die sich nun
wachräkeln und anblinzeln. Darunter sitzt auch Alex, etwas
für sich, aber im Gegensatz zu den anderen hellwach. Er
schaut fasziniert auf einen OFFIZIER in Uniform, der den
Projektor abschaltet und dann durch die Klasse nach vorne zu
einer LEHRERIN geht, die die Klasse klatschend aufweckt.
LEHRERIN
Hallo-o, nicht so verschlafen, Kinder!
Die Klasse murrt ironisch. Der Offizier stellt sich neben die
Lehrerin, lächelt sie an und nimmt eine Mappe vom Tisch.
OFFIZIER
Ihr habt gehört, was für schlimme Dinge
passieren können. Aber zum Glück werden
wir von GNOSIS beschützt. Wieviele von
Euch haben denn schon einen Privatbunker?
Etwas mehr als die Hälfte der Schüler meldet sich. Alex
schaut sich skeptisch um. Ein Mädchen, das sich auch nicht
gemeldet hat, lächelt ihn an. Sie ist süß und wirkt ein wenig
tolpatschig. Das ist NINA.
OFFIZIER
Mehr als die Hälfte. Wunderbar. Eure
Eltern sorgen sich gut um Euch.
Und die anderen gehen sicher immer in
unsere öffentlichen Bunker?
Der Rest der Klasse meldet sich. Auch Alex hebt ebenfalls
etwas verstohlen die Hand. Nina streckt so eifrig, daß sie
dabei ungeschickt ihr Mäppchen vom Tisch stößt. Es platzt
auf, und die Stifte fallen heraus. Sie kniet sich hin, um sie
einzusammeln. Alex will gerade helfen, als der Offizier zu
ihm kommt.
OFFIZIER
Und was ist mit Dir?
(schaut auf die Mappe)
Alexander Morell? Du warst gestern in
keinem Bunker.
Alex sitzt verlegen da. Die anderen Kinder starren ihn an.
Ein "streberiger" SCHÜLER grinst.
SCHÜLER
Sein Vater ist ein Anti-P.
Die Klasse kichert. Der Offizier wird ganz betroffen.
OFFIZIER
(mehr zur Klasse)
Anti-P sind schlechte Menschen, die nicht
verstehen, was gut für unser Land und die
Menschen ist. Und die das Leben von uns
allen riskieren.
(zu Alex)
So ist Dein Vater sicher nicht.
Er blickt von oben auf Alex, der sich unter dem Blick windet.
Die anderen Kinder lachen hämisch. Nina taucht unter ihrem
Tisch auf, in der Hand die eingesammelten Stifte.
NINA
Laßt Ihn in Ruhe!
Er kann doch nichts dafür, was sein Vater
macht!
Nina blitzt die Klasse wütend an, dann schaut sie besorgt zu
Alex, der versteinert dasitzt.
INNEN/AUSSEN - HAUSTÜR - TAG
Es klingelt laut. Durch die Haustür sieht man den Arm eines
Mannes vor der Tür. Er wartet kurz, dann klingelt er noch
mal. Man hört jemanden von innen an die Tür kommen. Es ist
Philip, der durch die Tür ruft.
PHILIP
Ja?
LIEFERANT
Philip Morell?
PHILIP
(vorsichtig)
Was gibt's denn?
LIEFERANT
Wir haben eine Lieferung für Sie.
Philip macht die Tür auf. Der LIEFERANT hat ein GNOSIS-Logo
auf der Brust eines Arbeits-Outfits.
PHILIP
Ich hab nichts bestellt.
Er schaut auf die Straße. Ein großer LKW mit Kran steht da.
Unter einer Plane steht etwas großes Rundes darauf. Zwei
andere GNOSIS-ARBEITER warten daneben und rauchen. Hinter dem
LKW steht ein dunkler Wagen mit einem CHAUFFEUR am Steuer. An
der Beifahrertür lehnt Eva. Philip sieht sie und erstarrt.
INNEN - WOHNZIMMER - TAG
Philip stürmt ins Zimmer an den Tisch. Er nimmt den Laptop,
klappt ihn zu und legt ihn in den offenen Safe. Dann
verriegelt er den Safe. Er schaut sich hektisch um, während
jemand durch den Flur kommt.
EVA (OFF)
(besänftigend)
Philip!
Eva kommt ins Wohnzimmer und bleibt in der Tür stehen.
EVA
Er ist schon bezahlt. - Ich bezahl ihn.
Philip steht grummelig da. Von draußen hört man Geräusche und
Stimmen, wie der LKW entladen wird. Sie schauen sich eine
Weile unsicher an.
PHILIP
Wie geht's Dir?
EVA
Gut.
Dann entdeckt Philip etwas an ihrer Uniform und zeigt
ungläubig darauf.
PHILIP
Du bist schon wieder befördert worden?
Eva weiß, wo das hinführt und verdreht die Augen. Sie holt
den Lieferschein aus der Tasche.
EVA
(sachlich)
Du mußt noch hier unterschreiben.
PHILIP
Ich will den Bunker nicht.
EVA
Philip, bitte. Es ist- besser für Euch
PHILIP
(unterbricht sie)
Ich dachte... "diese Dinger werden
eigentlich gar nicht gebraucht"?
EVA
Die Lage hat sich geändert.
Philip steht mit hochgezogenen Augenbrauen neugierig da.
EVA
(verdreht die Augen)
Du weißt, daß ich Dir nichts erzählen
darf. Nimm bitte den Bunker.
PHILIP
Ich stecke meinen Sohn in keinen
Metall-Sarg. Auch wenn die Regierung und
all Deine Gnosis-Lobbyisten das wollen.
EVA
Bitte! Du bringst Euch sonst in
Schwierigkeiten.
PHILIP
(wird laut)
Seit wann kümmern Dich denn unsere
Schwierigkeiten.
EVA
Die haben mich schon immer gekümmert.
PHILIP
(lauter)
Ach ja? Auch als Du durch diese Tür
gegangen bist und Deinen Sohn
zurückgelassen hast.
Eva zuckt, als wolle sie Philip eine Ohrfeige geben, kann
sich aber gerade noch bremsen. Philip grinst sie an, als
wolle er sagen, siehst Du, was aus Dir geworden ist.
EVA
Du denkst immer noch, ich mach das nur
für meine Karriere? Ich mach das für
Alex, für Dich, für das ganze Land, so
daß ihr überhaupt dieses gute Leben
führen könnt! - Währenddessen gräbst Du
Dich ein, schreibst Dein Verschwörungs
buch und bringst unseren Sohn in Gefahr,
nur weil Du wütend auf mich bist.
Philip starrt sie an. Plötzlich geht die Haustür und Schritte
rennen durch den Flur.
ALEX (OFF)
(außer Atem)
Papa. Papa. Der Bunker da draußen ist der
für uns?
Alex stürmt ins Zimmer. Als er Eva sieht, bleibt er unsicher
stehen. Seine Eltern starren ihn an. Eva kommt Philip zuvor.
EVA
Den hat Dein Vater für Dich bestellt.
Ist das nicht toll von ihm!
ALEX
(zögernd)
Ist das wahr?
Eva geht zu Alex und streicht ihm durch die Haare. Er steht
unbehaglich da.
EVA
Natürlich ist das wahr.
Gut siehst Du aus. Bist ein richtig
großer Mann geworden.
Philip starrt die beiden an, unfähig etwas zu sagen.
EVA
Magst Du den Leuten beim Aufbauen
zuschauen?
Alex schaut zu Philip, der resigniert und unmerklich nickt.
Alex strahlt und rennt über die Terrassentür nach draußen.
Eva lächelt hinter ihm her. Dann schaut sie zu Philip, der
traurig entschlossen auf den Tisch gestützt dasteht.
PHILIP
Das konntest Du schon immer. Menschen
manipulieren. Kein Wunder, daß Du es bei
Gnosis weit gebracht hast.
Er blickt zu ihr und sie starrt ihn an.
EVA
Philip. Was immer Du von mir denkst, es
ist wichtig, daß Ihr den Bunker benutzt.
Sie tritt zu ihm an den Tisch.
EVA
(vertraulich)
Ich darf Dir das eigentlich gar nicht
erzählen, aber wir haben Hinweise, daß
sie bald zuschlagen.
PHILIP
Na klar. Und wenn doch nicht, dann
verkauft Ihr uns vorsichtshalber das neue
Modell, damit wir noch besser geschützt
sind.
Sie starrt ihn an.
EVA
(heftig)
Warum mußt Du immer so stur sein.
Eva blitzt ihn noch mal an, dann läuft sie aus dem Zimmer.
Philip steht am Tisch und blickt ins Leere.
AUSSEN - VOR DEM HAUS - TAG
Eva kommt aufgewühlt auf die Straße. Sie schaut in den Garten
neben dem Haus, wo der Bunker unter der Plane neben dem Kran
steht. Die Arbeiter graben hinter einer Absperrung ein Loch.
Alex steht daneben und beobachtet sie mit leuchtenden Augen.
Eva betrachtet ihn mit einem leichten Lächeln und muß ein
paar Mal blinzeln vor Rührung.
CHAUFFEUR (OFF)
Brauchen Sie ein Taschentuch?
Neben Eva steht der Chauffeur aus dem Auto, ein großer Mann
in einer ähnlichen Uniform wie sie. Er grinst sie kalt an.
Sie wendet sich ab und sammelt sich.
CHAUFFEUR
Wenn Sie soweit sind, sollten wir los.
Die Zentrale hat nach Ihnen gefragt.
Eva nickt befehlend und sie gehen auf den dunklen Wagen zu.
Der Chauffeur steigt ein und läßt den Motor an. Eva blickt
noch mal zum Garten, dann reißt sie sich los und steigt
ebenfalls ein. Der Wagen fährt davon.
AUSSEN - GARTEN - TAG
Alex rennt auf die Terrassentür zu, vorbei an Philip, der
gerade herauskommt. Alex nimmt ihn kurz fest in den Arm.
ALEX
Danke danke, Papa. Vielen Dank!
Philip lacht unsicher, läßt ihn weiterlaufen und schaut ihm
nachdenklich nach. Dann sammelt er sich und geht auf die
GNOSIS-Arbeiter hinter der Absperrung zu.
SCHNITT AUF
Alex kommt mit Comic-Heften, Spielzeugfiguren und anderen
Sachen aus seinem Zimmer durch der Terrassentür und will zu
dem Bunker gehen. Er hält inne. Ein Arbeiter baut die
Absperrung ab, die beiden anderen verzurren den Bunker wieder
am Kran, der aufladebereit daneben steht. Alex starrt sie an,
dann rennt er zu ihnen.
ALEX
Was macht Ihr da, der gehört uns!
LIEFERANT
Tut uns leid, Junge. Wir nehmen ihn
wieder mit.
Alex starrt ihn kurz irritiert an, dann zieht er an ihnen.
ALEX
Nein! Hört auf damit!
ARBEITER
He! Das hat Dein Vater gesagt, also laß
uns arbeiten.
Alex starrt ihn an, dann rennt er auf die Terrassentür zu.
Der Lieferant schüttelt den Kopf und wendet sich dann zu
seinem Kollegen, der Alex hinterherschaut.
LIEFERANT
(kopfschüttelnd)
Manche Eltern. - Also komm, weiter.
Die beiden arbeiten weiter.
INNEN - WOHNZIMMER - TAG
Philip sitzt am Schreibtisch und baut seinen Laptop wieder
auf. Er blickt nur kurz auf, als Alex durch die Terrassentür
hereingestürmt kommt.
ALEX
(schreit)
Stimmt das? Daß du gesagt hast, sie
sollen den Bunker mitnehmen.
Alex starrt ihn an, und versucht außer Atem sich zu
beruhigen.
ALEX
Warum hast Du das gemacht?
PHILIP
Wir lassen uns nicht von Gnosis
vorschreiben, wie wir zu leben haben. Das
machen sie nur, um uns zu überwachen. Und
das will ich nicht. Das hab ich noch nie
gewollt, und das weißt Du.
ALEX
Das machst Du nur, weil der Bunker von
Mama ist.
PHILIP
Alex!
ALEX
Stimmt doch. Alles, was Mama macht, ist
schlecht, ganz egal, was.
PHILIP
Jetzt ist Schluß!
(nach einer Pause)
Hast Du schon Deine Hausaufgaben gemacht?
ALEX
Das kann Dir doch egal sein!
Philip starrt ihn an, dann steht er auf und geht versöhnlich
auf Alex zu, der vor ihm zurückweicht.
PHILIP
Ach komm.
ALEX
Ist Dir doch sowieso egal, was ich mache!
Alex dreht sich um und rennt wieder durch die Terrassentür
nach draußen. Philip kommt hinterher.
AUSSEN - GARTEN - TAG
Alex kommt aus der Terrassentür und rennt an den GNOSIS
Arbeitern vorbei. Philip erscheint in der Tür.
PHILIP
(ruft)
Alex!
Die GNOSIS-Arbeiter schauen ihn verwundert an. Philip blickt
trotzig zu ihnen. Dann schaut er hilflos hinter Alex her.
PHILIP
(ruft hilflos)
Aber zum Abendessen bist Du wieder hier!
Er wirft den Arbeitern, die sich heimlich angrinsen, einen
Blick zu und verschwindet nachdenklich im Haus.
AUSSEN - AUSSICHTSPLATZ - TAG
Alex rennt wütend eine Straße entlang. Er kommt an einen
kleinen Aussichtsplatz, von dem aus man die ganze Stadt
überblicken kann. Außer Atem bleibt er stehen, blickt hinter
sich und kickt dann wütend ein paar Steine.
INNEN - KONTROLLRAUM - TAG
Ein Kontrollraum in der GNOSIS-Zentrale. Eva nimmt an einem
erhöhten Terminal Platz. Um sie herum sitzen einige Techniker
an kleineren Terminals oder laufen hin und her. Es herrscht
eine gespannte Atmosphäre von kontrollierter Hektik. Evas
ASSISTENT, ein Techniker mit Headset neben ihr nickt ihr zu
und konzentriert sich dann wieder auf seinen Bildschirm. Auf
der anderes Seite des Raumes steht der Direktor im
Sommeranzug mit einigen anderen wichtig aussehenden Männern
und Frauen seines Alters. Er grüßt Eva über die Entfernung.
Plötzlich ertönt ein dezenter aber eindeutiger Alarmton.
AUSSEN - AUSSICHTSPLATZ - ABEND
Alex sitzt nachdenklich auf einer Bank. Über der Stadt geht
die Sonne unter und einige glänzende Hochhausfassaden
spiegeln das rote Abendlicht. In der Entfernung setzen sich
zwei Engel in Bewegung. Plötzlich ertönt der heulende Alarm.
Alex schaut auf. Dann erhebt er sich seufzend und läuft
trotzig los.
INNEN - WOHNZIMMER - ABEND
Philip steht mit einigen Blättern in der Hand vor dem offenen
Safe, als die Alarm-Sirene ertönt.
AUSSEN - KREUZUNG IN DER STADT - ABEND
Alex kommt zu Fuß an eine Kreuzung in der Stadt. Ein Stück
entfernt ist an einem Platz der Eingang zu einem öffentlichen
Bunker, vor dem sich schon einige Menschen versammelt haben.
Einige Autos stehen auf der Straße quer und offen da, die
Besitzer haben sie wohl einfach verlassen. Alex schaut sich
verwundert um. Eine panische Frau mit zwei kleinen Kindern
und ein paar zu schwer beladenen Taschen hastet vorbei.
ALEX
Was ist denn los?
FRAU
(aufgeregt)
Weißt Du das noch nicht? Der Alarm ist
echt, keine Übung! Es geht los! Sie
greifen an!! Bring Dich lieber in
Sicherheit.
Sie läuft weiter und beruhigt vergeblich ihre verängstigten
Kinder. Alex erschrickt. Er schaut die Straße hinunter, in
die Richtung vom Bunker weg, in die er wohl laufen wollte,
dann dreht er sich um. Er holt seinen orange-roten Chip aus
der Tasche und geht entschlossen auf den Bunkereingang zu.
AUSSEN - VOR DEM HAUS - ABEND
Philip steht vor der offenen Haustür und schaut die Straße
hoch und runter. Er sieht schon etwas panischer aus.
PHILIP
(ruft)
Alex!
AUSSEN - EINGANG ZUM ÖFFENTLICHEN BUNKER - ABEND
Eine wilde Traube von Menschen hat sich vor dem Eingang des
Bunkers gebildet. Alex sucht zwischen den Leuten nach einem
Durchgang zur Gittertür. Das immer wieder grün aufleuchtende
Licht kündigt von den durchgelassenen Personen. Hinter dem
Gitter führt die Treppe in die Dunkelheit.
LAUTSPRECHER-STIMME
(immer wieder)
Bitte bewahren Sie Ruhe. Bleiben Sie in
der Reihe und halten Sie ihren Chip
bereit. - Bitte bewahren Sie Ruhe.
Bleiben Sie in der Reihe und halten Sie
ihren Chip bereit.
Die beruhigende Stimme hat nicht viel Wirkung. Es wird
panisch geschoben und gedrängelt. Trotz der vielen Übungen
ist es wohl etwas ganz anderes, wenn man weiß, daß es gleich
einen echten Angriff gibt. Als es zu einem Tumult kommt,
greift ein GESCHÄFTSMANN im Anzug hinter Alex ein.
GESCHÄFTSMANN
Heh! Jetzt reißt Euch mal zusammen. Wir
haben das geübt.Und wir kommen alle rein.
Alex beobachtet, wie eine FRAU MIT CHIP einen orange-roten
Chip in einen Schlitz an der Gittertür einwirft und nach
einem Signalton hindurchtritt. Dann bemerkt er plötzlich
Nina. Sie steht zwischen ihren Eltern. Die Eltern durchqueren
als erste die Tür. Dann soll Nina folgen, doch sie bleibt vor
dem Eingang stehen und sucht in ihren Taschen. Alex wird
weiter geschoben und ist jetzt nah dran. NINAS MUTTER bemerkt
das Problem ihrer Tochter und dreht sich zurück ans Gitter.
NINAS MUTTER
Nina! Was ist los?
NINA
(ängstlich)
Ich hab meinen Chip nicht! Er ist
verschwunden!
NINAS MUTTER
Schau, ob Du ihn fallen gelassen hast.
(zum Vater)
Robert!
Nina versucht im Gedränge den Boden abzusuchen und wird dabei
von allen Seiten angerempelt. NINAS VATER kommt ans Gitter.
NINAS VATER
Bleib da. Beweg dich nicht! Wir kommen
wieder raus.
Alex wird weitergedrängt. Er steht jetzt direkt vor der Tür.
Sein Chip ist in seiner Hand. Er sieht rüber zu Nina. Tränen
laufen ihre Wangen runter.
NINA
Es tut mir leid!
NINAS VATER
Ist schon ok. Warte da.
GESCHÄFTSMANN
(drängelt jetzt selbst)
Los, Junge. Geh schon rein.
Als Alex nicht reagiert, schiebt er ihn ruppig zur Seite.
Alex schaut zur verzweifelten Nina und geht auf sie zu.
ALEX
Nina, dein Chip! Ich hab ihn gefunden.
Er drückt Nina seinen Chip in die Hand. Sie schaut ihn erst
verständnislos an, dann hellen sich ihre Augen auf.
NINA
Danke! - Mama! Papa! Ich hab den Chip,
ich komme!
Nina strahlt Alex an und geht dann durch den Eingang.
NINAS VATER
Danke Junge, dafür sind wir dir echt
dankbar!
Alex steht am Gitter und beobachtet, wie sie sich auf der
anderen Seite in die Arme fallen. Er blickt ihnen lange
hinterher, während die Menschen sich um ihn herumdrängen und
im Bunker verschwinden. Schließlich steht Alex ganz alleine
da. Das Licht über dem Eingang springt von Grün auf Rot.
Alex schaut sich auf dem Platz um. Weit und breit ist niemand
zu sehen. Der Himmel ist bedrohlich dunkel. Alex rennt los.
INNEN - KONTROLLRAUM - ABEND
Im Kontrollraum ist etwas Ruhe eingekehrt. Alle Techniker
sitzen an ihren Plätzen und arbeiten konzentriert.
DURCHSAGE
Bunker verriegelt und Insassen
registriert. Ausnutzung: 46,3 PB, 53,5
HB, Risiko: 0,2.
Eva schaut zum Direktor auf der anderen Seite des Raumes. Er
nickt unmerklich. Evas Assistent blickt sie gespannt an. Sie
erwiedert seinen Blick und beugt sich zu ihrem Terminal.
EVA
Also gut. Es geht los.
(in ein Mikrophon)
Engel in Position bringen. Sektionen A
bis E auf Standby.
DURCHSAGE
Engel in Position bringen. Sektionen A
bis E auf Standby. - Dies ist keine
Übung! Ich wiederhole: dies ist keine
Übung.
AUSSEN - STRASSE ZUR VORSTADT - NACHT
Alex rennt eine Straße entlang. Das Dunkel im Himmel hat sich
zu einer Wolke geformt, die sich langsam über die Stadt
schiebt. Ein Grollen kommt näher und man hört nun auch
Geräusche von Explosionen. Lichter zucken über den Himmel.
AUSSEN - KREUZUNG IN DER VORSTADT - NACHT
Alex kommt an die Kreuzung, die wir vom Anfang kennen. Im
Halbdunkel sieht er einen Mann, der zu seinem offenen
Privatbunker-Eingang im Garten läuft. Es ist der Vater der
Familie, die nach der Übung so freundlich gegrüßt hat.
ALEX
Heh!
Der Mann stoppt, blickt zu Alex und zögert.
MUTTER (OFF)
(panisch aus dem Bunkereingang)
Wo bleibst Du denn? Felix, komm endlich!
Der Mann schaut Alex mit großen Augen an, dann läuft er in
den Bunker. Krachend schließt sich die Tür hinter ihm.
Alex steht entsetzt alleine da. Er muß husten, wir sehen, daß
sich die Straße leise zischend mit einem weißen Gas füllt. Er
hält sich die Hände vors Gesicht und läuft weiter.
AUSSEN - STRASSE VOR DEM HAUS - NACHT
Das Gas nimmt an Dichte zu, so daß Alex nichts mehr sehen
kann. Er hustet wieder und hat etwas Blut an der Hand. Er
wankt ein paar Schritte, dann stürzt er. Das Grollen und die
Explosionen kommen näher. Alex liegt zuckend auf dem Boden
und atmet keuchend. Er ist kurz davor zu sterben. Plötzlich
reißen ihn zwei Hände hoch und legen ihm eine alte Gasmaske
um. Es ist Philip, der ebenfalls eine alte Gasmaske trägt.
PHILIP
Alex. Ich bin's.
ALEX
Papa.
Alex atmet keuchend durch die Maske. Langsam beruhigt er
sich. Er berührt seinen Vater an der Maske.
ALEX
(schwach)
Brauchen wir die doch.
PHILIP
(gerührt lachend)
Oh, Alex. Es tut mir leid. So leid!
Philip drückt ihn fest an sich, und sie halten sich fest. Die
Kampfgeräusche, Explosionen und Schüsse sind jetzt ganz nah,
und scheinen von allen Richtungen auf sie einzudringen.
Farbige Lichtreflexe vom erleuchteten Himmel spielen über
ihre Körper.
Alex schaut auf. Schemenhaft erkennt man etwas am Himmel.
Er löst sich von Philip, der am Boden kauert.
Alex steht jetzt voll aufgerichtet da und schaut nach oben.
Die Lichter tauchen sein Gesicht in verschiedenste Farben.
Das Gas über ihnen lichtet sich etwas und enthüllt einen
verdunkelten ENGEL, der sich nur undeutlich von dem dunklen
Himmel abhebt. Plötzlich schießen aus der Oberseite des
ENGELS farbige Schüsse hervor, begleitet von lauten
Schußgeräuschen. In der Luft beschreiben sie einen Kreis.
Alex zuckt zusammen, wendet aber nicht den Blick ab.
ALEX
Papa.
Bevor sie sich auf die Stadt herabsenken, zerbersten die
Schüsse wirkungslos mit dem Geräusch einer Explosion.
ALEX
Papa.
Philip richtet sich auf und stellt sich neben Alex. Gemeinsam
betrachten Vater und Sohn das Leuchten über ihnen. Der ENGEL
"schießt" noch mal und wieder passiert nicht.
INNEN - KONTROLLRAUM - NACHT
Im Kontrollraum herrscht routinerter Betrieb. Plötzlich geht
ein Alarmsignal los.
DURCHSAGE
Personen im Hotspot! Achtung in Sektor
19! 2 Personen im Hotspot!
Eva steht auf und blickt wütend zu einem JUNGEN TECHNIKER an
einem Terminal ein Stück entfernt. Auf seinem Schirm ist ein
Wärmesensorbild mit zwei roten Punkten.
EVA
Was ist mit dem Gas? Warum wirkt es
nicht.
Der junge Techniker tippt etwas in sein Terminal, dann zuckt
er entschuldigend mit den Achseln.
JUNGER TECHNIKER
Ich versteh es nicht.
EVA
Ziehen Sie den Engel ab. Sofort.
Der junge Techniker spricht in ein Mikro. Eva blickt ihren
Assistenten an. Er schaut ausdruckslos zu ihr.
EVA
Was glaubst Du, haben sie gesehen?
(nach einer Pause)
Schick sie los!
Ein böses Lächeln huscht kurz über sein Gesicht.
ASSISTENT
(leise in ein Mikrophon)
Bodeneinheit in Sektor 19. Sofort eine
Bodeneinheit in Sektor 19.
Er lehnt sich zurück und nickt Eva zu. Sie schüttelt unbewußt
den Kopf und blickt nervös zum Direktor, der sie wohlwollend
anschaut. Plötzlich entsteht unter den Technikern an den
Terminals etwas Unruhe und alle schauen auf Eva.
ALLE TECHNIKER
(flüsternd)
Das ist doch... Die beiden...
Morell... Ihr Sohn...
Eva bemerkt das, steht auf und schaut sich irritiert um. Dann
tippt sie etwas in ihr Terminal. Das Wärmesensorbild der
Straße erscheint. Neben zwei roten Punkten stehen die Namen
von Philip und Alex und andere Daten. Eva erstarrt. Sie
schaut zum Direktor, der ihren Blick bemerkt und fragend zu
ihr schaut. Dann wendet sie sich leise an ihren Assistenten.
EVA
Können wir die Einheit zurückrufen?
Der Assistent tippt etwas in sein Terminal und wartet kurz.
ASSISTENT
Negativ.
Eva sitzt starr da. Sie überlegt. Der Direktor runzelt die
Stirn und beginnt, in ihre Richtung zu laufen. Eva überlegt
noch einen Moment, dann steht sie auf und rennt davon, bevor
der Direktor bei ihr ist. Ihr Assistent schaut ihr
ausdruckslos nach.
AUSSEN - STRASSE VOR DEM HAUS - NACHT
Alex und Philip beobachten den Engel, der abdreht und in der
Ferne verschwindet. Mit ihm verzieht sich auch das Gas.
PHILIP
Alles okay bei Dir?
ALEX
Ja.
PHILIP
(schüttelt den Kopf)
Ich kann es nicht glauben.
ALEX
Hast Du das gewußt?
Alex ist gelöst. Von Ängstlichkeit ist nichts mehr zu spüren.
Die beiden ziehen ihre Masken ab.
PHILIP
Nein. Nein! Ich war mir sicher, daß sie
die Bedrohung aufbauschen, um ihre Bunker
zu verkaufen. Aber daß sie so weit
gehen...
ALEX
Aber wieso weiß das niemand?
Philip schaut Alex an. Er wird sich der Stille bewußt.
PHILIP
Ich weiß nicht. Es kann eigentlich nicht
sein, daß wir die einzigen sind-
Er verstummt. Das Geräusch eines Wagens ist zu hören. Philip
tritt zu Alex und drängt ihn dazu, die Straßenmitte zu
verlassen. Alex will eine Frage stellen, doch Philip bedeutet
ihm, still zu sein. Sie kauern sich hinter ein Auto und
beobachten, wie ein unscheinbarer Transporter nicht weit von
ihnen zum Stehen kommt. Die Hintertüren öffnen sich und
mehrere dunkel gekleidete GNOSIS-SOLDATEN steigen aus dem
Wagen, als würden sie im Kriegsgebiet landen. Sie tragen
Gasmasken und haben ihre Gewehre im Anschlag, während sie
immer in Deckung die Umgebung absuchen.
ALEX
(flüsternd)
Die kommen doch nicht wegen uns?
PHILIP
(flüstert)
Ich glaub schon. - Wir müssen ins Haus.
Vielleicht können wir hintenrum rein.
Die Soldaten kommen näher. Aber es scheint so, als würden sie
in der falschen Richtung suchen.
PHILIP
Jetzt!
Philip läuft los und zieht Alex einfach mit, bis dieser von
selbst auf die Beine kommt. Sie werden vom nächsten Soldaten
sofort bemerkt, der sich zu ihnen umdreht und von der anderen
Straßenseite das Feuer eröffnet. Fast lautlose Schüsse jagen
an den Flüchtenden vorbei. Philip stolpert, als sie an die
Hausecke kommen. Alex dreht sich im Rennen zu ihm um.
PHILIP
Lauf weiter. Los. LAUF!
Alex rennt panisch weiter.
AUSSEN - GARTEN - NACHT
Alex kommt in den dunklen Garten und schaut sich panisch um.
Der Rest der kleinen Bunkerbaustelle ist noch zu sehen. Er
rennt darüber hinweg hinter ein paar Büsche und kniet sich
keuchend hin. Er versucht, etwas von seinem Vater oder den
Soldaten zu sehen, aber sie sind hinter der Hausecke auf der
Straße. Plötzlich bemerkt er etwas neben sich. Es ist ein
Soldat, der mit seinem Gewehr direkt auf seinen Kopf zielt.
AUSSEN - VOR DEM HAUS - NACHT
Der Soldat führt Alex mit vorgehaltener Waffe zurück auf die
Straße. Alex hält inne, als er seinen Vater sieht. Philip
liegt da, und ein Soldat drückt ihn mit dem Fuß fest auf den
Boden und hält ihm ein Gewehr an den Kopf. Die anderen
Soldaten stehen um die beiden herum.
ALEX
Nein!
Alex rennt zu Philip, legt sich auf den Boden und klammert
sich an ihn. Philip hält ihn fest und blickt offen in die
Maskengesichter der Soldaten.
PHILIP
Es wird alles gut.
Die Soldaten schauen sich kurz an. Dann nickt einer
befehlend. Die anderen heben langsam ihre Waffen und zielen
auf Philip und Alex. Alex schließt die Augen. Alles ist
dunkel. Quietschende Reifen sind zu hören.
EVA (OFF)
Aufhören!
Alex öffnet die Augen wieder. Eva ist mit dem dunklen Wagen
vorgefahren und steht in ihrer Uniform dominant daneben.
EVA
Ich übernehme die beiden.
Ein Soldat geht einen Schritt auf sie zu.
EVA
Haben Sie etwas zu sagen, Soldat?
Er steht zögernd da. Eva schaut ihn an, bis er wieder einen
Schritt zurückweicht. Sie geht zu Philip und Alex. Alex
schaut sie groß an. Philip setzt sich mißtrauisch auf.
PHILIP
Was soll das?
EVA
Aufstehen! Los!
PHILIP
Wenn Du glaubst- daß wir mitkommen.
EVA
(unterbricht ihn)
Schluß jetzt. Kommen Sie mit!
Sie zieht die beiden hoch.
EVA
Steigen Sie in den Wagen! Sie sind
festgenommen!
Sie schaut die beiden eindringlich an. Philip betrachtet sie
und die Soldaten und geht dann los. Er hält Alex an der Hand.
Die drei gehen langsam zwischen den Soldaten hindurch zu Evas
Wagen. Eva öffnet die Tür zur Rückbank, als das Funkgerät des
einen Soldaten Geräusche von sich gibt. Er hält eine Hand ans
Ohr und hört zu.
SOLDAT
Haltet Sie auf. Alle drei!
Eva stößt Alex und Philip auf die Rückbank und öffnet ihre
Fahrertür. Hektik bricht aus!
SOLDAT
Stop! Oder wir schießen.
EVA
(zu Philip)
Mach die Tür zu! Schnell!
Die Soldaten eröffnen das Feuer. Die Kugeln peitschen durch
die Luft und man hört auch Einschüsse. Eva steigt ein,
startet den Motor und fährt mit quietschenden Reifen los.
AUSSEN - AUF EINER AUTOBRÜCKE - NACHT
Das Auto steht mitten auf der Straße auf einer Brücke, die
aus der Stadt führt. Philip lehnt mit verschränkten Armen auf
dem Brückengeländer. Alex kniet vor Eva, die in der offenen
Tür auf dem Beifahrersitz des Wagens sitzt. Sie hat eine
blutende Wunde im Oberkörper und stöhnt vor Schmerzen.
ALEX
Warum habt Ihr das gemacht?
Eva muß husten. Sie hat Blut im Mund.
PHILIP
Sollen wir Dich nicht doch ins
Krankenhaus bringen?
Eva schüttelt den Kopf, lächelt die beiden mühsam an und
streicht Alex durch die Haare.
EVA
Mein lieber kleiner Alex.
(sie sucht nach Worten)
Am Anfang wollten wir doch nur Gutes. Den
Leuten was geben, woran sie glauben
können. Die Wirtschaft wieder aufbauen.
Uns selbst wieder aufbauen.
(sie stöhnt )
Aber dann... Ich weiß auch nicht.
Kontrolle, Macht, Geld... Und auf einmal
war es egal, warum wir diese Dinge
machen. Wir mußten sie nur immer besser
machen... Als wir herausfanden, daß es
keine Angriffe mehr geben würde-
Plötzlich bäumt sie sich auf vor Schmerzen. Philip steht auf
und tritt ans Auto.
ALEX
Mama!
EVA
Es tut mir leid... Ich hab mich
verändert... Viel mehr als ich wollte.
Sie beißt die Zähne zusammen und sammelt sich.
EVA
Ihr müßt den Menschen sagen, was wir
getan haben.
(zu Philip)
Schreib Dein Buch zu Ende. Oder schreib
es besser ganz neu!
(zu Alex)
Und Du hilfst ihm, daß er nichts vergißt.
Ihr dürft nicht vergessen.
Eva schaut Alex traurig an. Der Schmerz legt ihr einen
Schleier über die Augen. Alex hält ihre Hand. Philip und Eva
blicken sich über seinen Kopf hinweg lange an.
AUSSEN - TANKSTELLE - MORGEN
Alex sitzt auf dem Beifahrersitz. Er hat einen starren Blick
mit roten Augen, wir sehen, daß er geweint hat. Das Auto
steht an einer kleinen Tankstelle außerhalb der Stadt. Die
Sonne geht auf über der Straße, die in die Ferne führt. Alex
hört etwas und blickt langsam auf. Er schaut mit leerem Blick
auf einen kleinen Fernseher, der an der Tankstelle steht. Die
Nachrichten zeigen eine martialischen Grafik "Land in Angst".
Drei schwarz-weiß Fotos von Philip, Alex und Eva werden
eingeblendet. Der NACHRICHTENSPRECHER, ein attraktiver Mann
mit grauen Schläfen, schaut betroffen in die Kamera.
NACHRICHTENSPRECHER
...und die Sonne geht auf über einem Land
in Angst. Diese Familie gab gestern Nacht
völlig sinnlos ihr Leben, als sie sich
trotz des Alarms nicht in einem Bunker
aufhielt. Zum Glück und Dank des guten
Schutzes von Gnosis waren es die einzigen
Opfer des Angriffs. Hoffen wir, daß es so
bleibt.
Die Tür zur Tankstelle geht auf und Philip kommt heraus. Er
hat eine volle Einkaufstüte auf dem Arm. Alex folgt ihm mit
dem Blick. Philip legt die Tüte auf den Rücksitz und steigt
dann ein. Er blickt vorsichtig aufmunternd zu Alex.
PHILIP
Dann geht es also los.
Bereit?
Alex schaut ihn eine Weile an. Dann nickt er.
ALEX
Bereit.
Philip startet den Wagen und fährt aus der Tankestelle auf
die Straße, der Morgensonne entgegen. Auf dem Fernseher sehen
wir das Ende eines Werbespots für den neuesten Bunker.
FERNSEHBILD
Leinwandfüllend das GNOSIS-Logo: Fühlen Sie sich sicher.
F I N E