Leseprobe
MORGEN
Drehbuch von Philipp Koblmiller
AUSSEN - AUF EINEM LKW - TAG
Auf einer Bank auf der Ladefläche eines fahrenden Militär-LKW
sitzt der junge ARTHUR DROLLMANN und starrt vor sich hin. Auf
der Wange hat er eine Wunde, aus der das Blut über sein
Gesicht gelaufen und getrocknet ist. Er wird hin und her
geschüttelt. Seine feldgraue Wehrmachts-Uniform ist zerfetzt
und mit getrocknetem Blut verkrustet.
Er wirkt mit seinen 17 Jahren viel zu jung...
ARTHUR DROLLMANN (V.O.)
Sie sind immer noch nicht zurück, obwohl
der Frühling jetzt ganz nah ist. Auch
die, die den Winter über immer bleiben,
sind fort, genau wie letztes Jahr.
(Pause)
Wenn sie wiederkommen, hat sie gesagt,
wird alles gut...
AUSSEN - AM WALDRAND - TAG
Über den Wipfeln der Bäume eines großen Waldes nähert sich
die Sonne dem Horizont. Arthur Drollmann steht vor den Bäumen
und betrachtet gedankenverloren ein kleines Foto, das er in
der Hand hält. Mit der anderen Hand berührt er sanft eine
kleine Feder, die er an einem Band um den Hals hängen hat. Er
sieht erholter aus als auf dem LKW, ohne Wunde auf der Wange.
Er hat eine kleine Sanitätstasche umhängen. Plötzlich wird er
aus seinen Gedanken gerissen.
PAUL HANSEN (OFF)
Arthur!
Arthur erschrickt und dreht sich schnell um. Er steht neben
einem kleinen Hügel am Waldrand, in dem offensichtlich ein
Bunker ist.
Neben dem Eingang setzt sich gerade OTTO KRAUSE, ein anderer
Soldat, auf einen Baumstumpf und stützt sich auf sein Gewehr.
Er wirkt erschöpft, mit tiefen Ringen unter den Augen und
Schrammen im Gesicht. Um den Hals hat er ein Fernglas hängen.
Die Stimme, die Arthur ruft, kommt aus dem Bunker.
PAUL HANSEN (OFF)
Arthur!
Arthur rennt zum Bunker und steckt dabei das Foto ein. Auf
dem Weg fällt ihm die Sanitätstasche hin.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Arthur kommt in einen kleinen dunklen Bunker. An die Wand
gelehnt steht GEORG BELL, in Feldwebel-Uniform mit einer
Pistole am Gürtel, und hustet heftig.
PAUL HANSEN, ein MG-Schütze aus Norddeutschland, stützt ihn.
Über die Schulter hat er ein Maschinengewehr hängen. Er winkt
Arthur heran.
PAUL HANSEN
Nu mach schon.
Bell unterbricht ihn.
GEORG BELL
Geht schon wieder.
Hansen schaut ihn kritisch an und nickt dann Arthur zu.
Dieser holt aus seiner kleinen Sanitätstasche eine Spritze.
Aus einem Nebenraum kommen der Unteroffizier RICHARD
BALDERSTEIN und der Gefreite GUSTAV MERTENS. Mertens trägt
ein Gewehr, Balderstein eine Pistole am Gürtel.
Balderstein registriert, was Arthur macht und spricht dann
Bell an.
RICHARD BALDERSTEIN
Bunker ist sauber, Herr Feldwebel.
Nebenan sind noch Vorratskisten und
Lampen... Ich find, wir sollten besser
weitermarschieren, sonst verlieren wir
noch ganz Anschluß zur Truppe.
Arthur zieht die Spritze mit einer Flüssigkeit aus einem
braunen Fläschchen auf.
GEORG BELL
(schaut die anderen an)
Sind doch alle durch, bißchen Schlaf...
nur 'ne Nacht... wird uns gut tun.
Er hält inne und überlegt. Arthur gibt ihm die Spritze in den
Arm. Er wehrt sich nicht dagegen, zeigt aber Unbehagen.
RICHARD BALDERSTEIN
Aber wenn die Amis heute Nacht weiter
vorrücken, wachen wir morgen hinter der
Frontlinie auf.
GEORG BELL
Hinter die Amerikaner sollten wir
wirklich nicht zurück- fallen.
RICHARD BALDERSTEIN
(unterbricht ihn)
...dann müssten wir uns durch die Front
schlagen.
Balderstein schaut erwartungsvoll auf Bell.
AUSSEN - VOR DEM BUNKER - TAG
Krause steht vom Baumstumpf auf und geht über den Hügel,
unter dem sich der Bunker befindet.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Arthur zieht die Spritze aus Bells Arm und drückt einen
Fetzen Verbandmull, den er schon öfter benutzt hat, auf die
Einstichstelle. Bell nickt ihm dankend zu.
PAUL HANSEN
Ne Nacht durchpennen wär ganz gut, Georg.
Für alle.
Bell schaut auf die anderen.
BALDERSTEIN
Wenn wir weitermarschieren, treffen wir
morgen früh vielleicht schon auf die
Truppe...
Da kommen´se auch ins Lazarett, da wird
man sie richtig versorgen.
Mertens nickt zustimmend.
AUSSEN - WALDRAND AM FELD - TAG
Krause kommt mit seinem Gewehr in der Hand an den Waldrand
und schaut auf ein Feld. Er blickt sich vorsichtig um und
beginnt dann, seine Hose zu öffnen. Um beide Hände frei zu
haben, lehnt er das Gehwehr an einen Baum. Er pinkelt.
Plötzlich vernimmt er ein seltsames Rumoren. Er dreht sich
danach um und pinkelt dabei prompt auf sein Gewehr.
OTTO KRAUSE
Scheiße!
INNEN - IM BUNKER - TAG
Bell überlegt.
GEORG BELL
Ausgeschlafen sind wir morgen umso
schneller.
Arthur schaut zu Balderstein.
AUSSEN - AUF DEM FELD - TAG
Krause schaut zum Himmel auf und geht dabei einige Meter auf
das Feld. Das Rumoren wird lauter. Plötzlich ortet er es
genau hinter sich, dreht sich um und sieht, wie ein
amerikanischer Panzer aus dem Waldstück gegenüber vom ihm
kommt, und auf das Feld fährt. Krause wirft sich zu Boden.
Immer mehr Fahrzeuge kommen aus dem Wald. Krause kriecht in
dem hohen Gras zurück zum Waldrand und rennt in den Wald,
Richtung Bunker.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Mertens kommt aus dem Nebenraum zu Bell.
GUSTAV MERTENS
Ick hab drüben wat herjerichtet, Herr
Feldwebel.
Plötzlich kommt Krause außer Atem herein.
OTTO KRAUSE
(beim Hereinkommen)
Herr Bal...Herr Unteroffizier!
Die Amis...
Dann sieht er Bell. Er nimmt Haltung an.
OTTO KRAUSE
Herr Feldwebel. Am Waldrand kommt grad
ne´n amerikanischer Konvoi vorbei.
Alle stehen still da. Arthur, der noch am Boden bei
Sanitasche kniet und etwas darin sortiert, schaut von Bell zu
Balderstein, der das Gesicht verzieht.
RICHARD BALDERSTEIN
(zu den anderen)
Los, Sachen packen.
Arthur packt schlagartig seine Tasche mit den Ampullen und
der Spritze zusammen. Die anderen machen sich schon auf den
Weg in Richtung Bunkerausgang.
GEORG BELL
Halt! Wir bleiben, wir verstecken uns
hier. Paul, die Tür.
Arthur stockt und schaut Bell verständnislos an.
RICHARD BALDERSTEIN
Was? Dann sitzen wir in der Falle!
GEORG BELL
Wenn wir uns still verhalten, bemerken
die uns gar nicht... Und wenn´se weg
sind, sehen wir weiter.
Von draußen hört man ein tiefes Brummen. Bell lehnt sich an
die Wand und nickt Hansen zu, der zur Tür geht und diese
schließt.
RICHARD BALDERSTEIN
Wir müssen hier raus!
GEORG BELL
Schluß jetzt, Balderstein!
Die Tür fällt mit einem lauten Krachen zu. Hansen kommt von
der Tür zurück und schaut zu Bell.
PAUL HANSEN
Vielleicht nehmen die uns ja nen´ Stück
mit?
(Pause)
Wenn wa´ nett fragen?
Bell muß sich ein kurzes Grinsen verkneifen. Mertens und
Krause lassen ihre Rucksäcke wieder auf den Boden fallen und
schauen Balderstein an. Arthur steht immer noch mit seiner
Tasche in der Hand im Raum und schaut fragend zu Balderstein.
AUSSEN - AN DER LANDSTRASSE - TAG
Blick vom Feld auf den Wald, in dem der Bunker liegt. Im
Vordergrund fährt der amerikanische Konvoi vorbei.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Arthur sitzt an die Wand gelehnt still auf dem Boden und hört
auf das Dröhnen. Es kommt näher und wird lauter. Schließlich
ist es direkt bei ihnen und ohrenbetäubend laut. Hansen
schaut Bell fragend an. Mit den Lippen formt er lautlos ein
Wort.
PAUL HANSEN
(lautlos)
Panzer?
Bell verzieht den Mund, damit hatte er nicht gerechnet.
Arthur sieht das und seine Augen weiten sich leicht
erschrocken. Plötzlich hört das Dröhnen auf, geht dann aber
etwas dumpfer weiter. Die Fahrzeuge rangieren hin und her und
halten dann an. Die Motoren werden ausgeschaltet. Es ist
Türenschlagen und amerikanisches Stimmengewirr zu hören.
Die Soldaten im Bunker werden unruhig. Sie schauen sich
verwirrt an. Balderstein winkt zu Krause, der nicht versteht.
Schließlich beugt sich Balderstein zu ihm und nimmt ihm das
Fernglas ab. Er schleicht sich vorsichtig an eine
Schießscharte und schaut durch das Fernglas hinaus.
AUSSEN - AM GEGENÜBERLIEGENDEN WALDRAND - TAG
Auf dem Feld hinter dem Waldstück mit dem Bunker herrscht
hektische Betriebsamkeit. Die amerikanischen Soldaten fangen
an, die LKWs abzuladen und Zelte aufzubauen.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Balderstein läßt das Fernglas sinken.
RICHARD BALDERSTEIN
Die schlagen ihr Lager auf.
Er schaut Bell verächtlich an.
MERTENS
(zu Krause)
Scheiße!
AUSSEN - VOR DEM BUNKER - TAG
Der Bunker liegt still im Halbschatten der Bäume am Waldrand.
INNEN - IM BUNKER - TAG
Hansen steht an der Schießscharte und schiebt Wache, er
beobachtet das Treiben der Amis. Neben ihm das MG schußbereit
aufgebaut. Er schiebt das Tarnnetz etwas zur Seite, um mit
dem Fernglas besser hinaus schauen zu können.
AUSSEN - AM GEGENÜBERLIEGENDEN WALDRAND - TAG
Das amerikanische Lager ist fertig aufgebaut. Alles ist still
und sieht sehr friedlich aus. Einige Soldaten, die wohl Wache
schieben, stehen in einer Gruppe beieinander und rauchen.
Niemand hindert sie daran.
INNEN - IM BUNKER - TAG
PAUL HANSEN
Bauen hier seelenruhig ihr Zeltlager auf.
Er schüttelt den Kopf. Mertens kommt zur Scharte und schaut
kurz raus.
GUSTAV MERTENS
Die sind sich schon viel zu sicher.
PAUL HANSEN
Nu, ham 'se ja auch allen Grund zu.
Mertens schaut ihn finster an. Hansen schaut mit einem
spöttischen Zucken um die Mundwinkel aus der Schießscharte.
Arthur kommt aus dem Nebenraum und schaut sich im Bunker um.
Durch die Schießscharten fällt das letzte Tageslicht herein
und erhellt gerade so den Bunker.
Die Soldaten haben sich etwas eingerichtet. Auf dem Boden ist
Stroh verteilt. Krause sitzt auf dem Boden und hält sein
Gewehr zwischen den angewinkelten Knien. Mertens sitzt neben
ihm und döst vor sich hin. Balderstein lehnt etwas abseits an
der Wand. Er dreht einen großen Ring, den er am Finger trägt.
Hansen blickt vom MG fragend zu Arthur.
ARTHUR DROLLMANN
Er schläft.
Arthur setzt sich schräg gegenüber zu Balderstein.
OTTO KRAUSE
(vorsichtig)
Packt er's noch lang?
PAUL HANSEN
Hat viel durchgemacht.
RICHARD BALDERSTEIN
Ham´ wir alle... Wir könnten längst
weiter sein... Wär auch besser für ihn.
Hansen blickt Balderstein kurz mit finsterem Gesicht an. Dann
wird er freundlicher und dreht sich zu Arthur.
PAUL HANSEN
Aber die Spritzen helfen, was?
Arthur wendet sich zu ihm.
ARTHUR DROLLMANN
Hm, hab ja nix anderes.
Balderstein versucht, Arthurs Tasche zu nehmen und
hineinzuschauen.
RICHARD BALDERSTEIN
Wieviele hast Du denn noch?
Arthur reißt die Tasche wieder an sich. Alle schauen ihn an.
ARTHUR DROLLMANN
(zögerlich, zu Balderstein)
Genug.
Hansen schaut Balderstein mit einem leichten Kopfschütteln
an. Dann lehnt er wütend den Kopf an die Wand.
PAUL HANSEN
(zu sich)
Na, Du kannst es wohl kaum erwarten.
Balderstein wendet sich ab und dreht nervös seinen Ring.
Krause spielt mit dem Gewehr und knirscht dabei unbewußt mit
den Zähnen. Mertens hört das und blickt zu ihm.
GUSTAV MERTENS
(gedehnt)
Krause.
Krause schaut fragend auf.
GUSTAV MERTENS
Hör' auf mit den Zähnen zu knirschen.
Krause nickt versonnen und stochert mit dem Gewehr im Stroh.
GUSTAV MERTENS
Bei uns im Bezirk hat ick mal 'ne Alte,
die hat danach die janze Nacht mit die
Zähne jeknirscht.
(erinnert sich)
Na, besser als jar nischt, was.
Er lacht kurz, Krause schaut auf.
OTTO KRAUSE
Ja, ja, zu Hause, wenn ick wieder da bin,
seh ick och mene Rieke wieder. Und dann,
naja, du weest schon...
Krause hört auf, mit dem Gewehr zu spielen und schaut mit
funkelnden Augen zu Mertens, der ihn nun anblickt und die
Stirn runzelt.
GUSTAV MERTENS
Was red'st denn da? Hat dir doch schon
vor vier Monaten jeschrieben, daß sie
'nen Anderen hat.
Eine kurze unangenehme Pause, dann explodiert Krause und geht
auf Mertens los.
RICHARD BALDERSTEIN
Krause!
(lauter)
Krause. Schluß jetzt!
Reißen 'se sich zusammen, Mann!
Krause reagiert erst nicht, dann hält er inne und läßt sich
wieder auf den Boden fallen.
RICHARD BALDERSTEIN
Hansen, lassen 'se Krause mal 'ne Weile
ans MG.
Hansen nickt und setzt sich auf den Boden an die Wand, neben
Arthur. Krause stellt sich an das MG, bemüht, seine Fassung
zu bewahren.
Hansen schaut die beiden an. Dann schüttelt er sachte den
Kopf und dreht sich zur Seite. Dabei fällt sein Blick auf
Arthur, der den Kopf auf die Arme gelegt hat und lautlos
weint. In einer Hand hält er die Feder. Hansen stubst ihn mit
dem Ellbogen an.
PAUL HANSEN
Mensch, Jung. Wasn los mit dir?
Arthur dreht sich von ihm weg, dabei fällt das Foto herunter.
Hansen hebt es auf und schaut es an:
Eine Aufnahme von Arthur, seinen Eltern und seiner Schwester
in einem friedlichen Moment beim Essen in einem Garten. Die
Schwester kitzelt Arthur mit derselben Feder im Ohr, die
Eltern und Arthur lachen in die Kamera.
Arthur blickt auf. Hansen grinst ihn an.
PAUL HANSEN
...mach dir nix draus, bei alten
Familienfotos fang ich auch immer an zu
flennen.
Arthur schaut ihn still an. Hansen wird ernster.
PAUL HANSEN
Bald siehst´e sie ja wieder.
Er stößt Arthur aufmunternd an die Schulter. Der reagiert
nicht und murmelt leise etwas.
PAUL HANSEN
Hm?
ARTHUR DROLLMANN
(tonlos)
Ne!
Er schaut Hansen an. Plötzlich hören sie, wie draußen eine
Staffel der Air Force langsam über sie hinwegdonnert. Es
müssen hunderte von Flugzeugen sein. Alle schauen nach oben.
Man hört die Amerikaner in der Ferne gröhlen.
Hansen zeigt fragend mit dem Finger nach oben und schaut
Arthur lange an. Der nickt. Hansen erschauert und gibt ihm
das Foto zurück.
Arthur schaut ihn lange an, dreht sich dann von den anderen
weg und legt sich auf den Boden. Er legt seine Hand auf die
Sanitätstasche und starrt mit offenen Augen vor sich hin.
OTTO KRAUSE (OFF)
Was is'n los mit dem?
PAUL HANSEN (OFF)
Nix, lass ihn. Mußt ja nich alles wissen.
Arthur kneift fest die Augen zusammen. Dann entspannen sich
seine Gesichtszüge. Er schläft ein.
INNEN - IM BUNKER - TRAUMSEQUENZ - NACHT
Arthur liegt auf dem Boden und schläft. Das Dröhnen der
Flugzeuge wird lauter. Plötzlich streichelt eine kleine Hand
ihm mit seiner Feder über das Gesicht. Er macht die Augen
auf.
Seine kleine Schwester kniet neben ihm und schaut ihn an. Er
setzt sich fassungslos auf und schaut sich um. Die anderen
Soldaten beachten sie gar nicht. Arthur beugt sich zu ihr vor
und streckt die Hand aus, um sie zu berühren. Sie weicht
langsam zurück.
Das Dröhnen der Flugzeuge verstummt plötzlich, und aus dem
Nebenraum ist Bells Husten zu hören.
INNEN - IM BUNKER - NACHT
Arthur schreckt auf. Alles ist still, nur aus dem Nebenraum
hört man ein furchtbares Husten. Er schaut sich um. Die
anderen Soldaten sitzen schweigend da. Arthur nimmt seine
Tasche. Er hält inne, als er entdeckt, daß sie anders da
liegt. Er schaut mißtrauisch zu Balderstein, der ihn kurz
anschaut und dann den Blick abwendet. Arthur steht auf und
geht in den Nebenraum. Als er an Balderstein vorbeikommt,
hält dieser ihn am Arm fest.
BALDERSTEIN
Davon wird´s auch nich besser.
ARTHUR DROLLMANN
Für wen?
Arthur schaut Balderstein an. Dann reißt er sich von
Balderstein los und geht in den Nebenraum.
INNEN - IM BUNKER - NEBENRAUM - NACHT
Bell liegt auf dem Boden und schläft. Eine kleine
Militärtaschenlampe wirft ein schwaches rotes Licht.
Bell ist naßgeschwitzt und wird von einem Hustenanfall
durchgeschüttelt.
Arthur kommt mit seiner Tasche herein und kniet sich neben
Bell. Er nimmt die Spritze und ein Tuch aus der Tasche und
fängt an, Bell den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Bei
Arthurs Berührung wird er etwas ruhiger. Dann bäumt er sich
in einem schlimmen Hustenanfall auf.
Arthur nimmt die Spritze und das Fläschchen. Er steckt die
Spritze hinein. Die Nadel berührt den Boden. Arthur zieht die
Spritze auf und die Flüssigkeit verschwindet in der Nadel.
Das Fläschchen ist nun leer. Arthur holt mit der freien Hand
einige leere Ampullen aus seiner Tasche. Er überlegt, schaut
kurz zu Bell, dann schaut er in den Hauptraum und bemerkt,
daß Balderstein ihn beobachtet. Bell hustet. Arthur drückt
die Spritze wieder etwas zusammen. Die Hälfte der Flüssigkeit
läuft zurück in das Fläschchen. Arthur gibt Bell die Spritze.
Dieser wird gleich ruhiger.
Arthur will aufstehen. Bell hält ihn am Arm fest.
Er schlägt die Augen auf.
GEORG BELL
Danke... danke.
ARTHUR DROLLMANN
Ja.
Arthur schaut ihn an. Bell gibt sich einen Ruck, setzt sich
auf und lehnt sich an die Wand. Er schaut den Jungen an.
GEORG BELL
...keine Sorge, wird alles gut...
Er muß ein letztes Mal husten, dann wirkt die Spritze, und er
wird wieder etwas kräftiger. Arthur schaut ihn an.
GEORG BELL
...wenn die Amis morgen weg sind...
dann könn´ wir weiter...
Arthur reagiert nicht.
GEORG BELL
(aufmunternd)
...dann kommst´e nach Hause, zu deiner
Familie, hm? Aua!
Arthur zuckt mit dem Arm, in dem er die Spritze hält. Bell
verzieht das Gesicht vor Schmerz.
Arthur schaut ihn teilnahmslos, mit leerem Blick an.
ARTHUR DROLLMANN
(völlig emotionslos und kühl)
Ne. Da is doch keiner mehr.
GEORG BELL
Ja, ja, richtig. Ich... äh...
Bell starrt Arthur an. Plötzlich kommt Hansen herein.
PAUL HANSEN
Georg?
Bell schaut auf.
PAUL HANSEN
Komm mal rüber!
Bell steht auf und schaut Arthur nochmal kurz an.
INNEN - IM BUNKER - NACHT
Bell, Hansen und Arthur kommen aus dem Nebenraum. Bell schaut
sich um. Balderstein sitzt noch am gleichen Platz und dreht
seinen Ring. Krause und Mertens sind verschwunden. Bell
erstarrt.
GEORG BELL
Wo sind sie?
(deutlich)
Balderstein?
Balderstein hört auf, den Ring zu drehen und schaut langsam
zu Bell. Dieser geht auf ihn zu.
RICHARD BALDERSTEIN
Krause und Mertens sind meine Männer!
GEORG BELL
Wo? Verdammt nochmal.
RICHARD BALDERSTEIN
Hab sie rausgeschickt. Soll´n mal
schauen, was die Amis so treiben.
GEORG BELL
Sind sie wahnsinnig?
Balderstein steht auf und schüttelt verächtlich den Kopf.
RICHARD BALDERSTEIN
Nein... Wir sitzen in diesem Loch und
schauen zu, wie ne´n Haufen Amerikaner
vor unserer Nase gemütlich einschläft.
Und Sie... Herr Feldwebel?
Er wendet sich kopfschüttelnd ab. Bell wirft einen schnellen
Blick auf den Jungen.
GEORG BELL
Solange ich hier bin, gibt´s keine
Himmelfahrtskommandos, merken´se sich
das, Balderstein.
Balderstein dreht sich schnell wieder zurück zu Bell.
RICHARD BALDERSTEIN
Keine Sorge, die wissen schon was sie
tun... Und ich auch!
Plötzlich wird die Stille von entfernten Schüssen
durchbrochen. Die Soldaten ducken sich und greifen zu ihren
Gewehren. Arthur bleibt starr hinter einer Säule stehen.
Amerikanische Stimmen rufen etwas. Wieder Schüsse, dann ein
verzweifelter Schmerzensschrei, der sich ewig hinzieht und
immer lauter zu werden scheint. Dann ein einzelner Schuß, und
der Schrei hört auf. Stille. Arthur schaut zur Schießscharte.
Dann zu Hansen. Der blickt ihn an und dann auf den Boden.
Bell schaut zu Balderstein. Stille.
AUSSEN - VOR DEM BUNKER - NACHT
Der Bunker liegt still im Mondlicht am Waldrand. Eine
Leuchtrakete steigt auf und erhellt die Wiese. Dann schlägt
eine Granate vor dem Bunker ein. Weitere Granaten schlagen
dicht am Bunker ein.
INNEN - IM BUNKER - NACHT
Die Soldaten liegen kurz wie betäubt da, bis draußen heftiger
Beschuß einsetzt. Der Bunker wird von MG-Salven getroffen.
Balderstein springt auf zum Machinengewehr und fängt an zu
feuern.
RICHARD BALDERSTEIN
(zu Hansen)
Los, Munition führen!
Hansen nimmt seinen Platz an der Seite des MGs ein.
Balderstein feuert lange MG-Salven aus der Schießscharte.
Die Szenerie wird nur vom Mündungsfeuer des MGs und den
aufsteigenden Leuchtraketen von außerhalb des Bunkers
beleuchtet. Arthur steht starr vor Angst mitten im Raum.
Er wird fast getroffen, als direkt neben seinem Kopf Schüsse
einschlagen. Erst in diesem Moment wirft er sich zu Boden.
Langsam verblassen die Geräusche und ein hohes Pfeifen liegt
über allem, während die Schüsse und die Explosionen nur noch
gedämpft zu hören sind.
Bell bekommt wieder einen Hustenanfall. Draußen vor dem
Bunker wird das Feuer eingestellt. Balderstein feuert wie
verrückt weiter. Durch den Lärm versucht Bell hustend, sich
Gehör zu verschaffen.
GEORG BELL
Feuer einstellen! Feuer einstellen!
Balderstein, hören Sie auf zu schießen!
Balderstein hört völlig außer Atem auf zu schießen. Langsam
werden die Geräusche wieder normal.
RICHARD BALDERSTEIN
Wir haben sie vertrieben. Gut, gut.
Jetzt ham' was erst mal geschafft.
Er klopft Hansen, der wie gelähmt neben dem MG sitzt, auf die
Schulter und läßt sich auf das Stroh gegenüber des
Maschinengewehrs fallen. Er dreht seinen Ring.
RICHARD BALDERSTEIN
(zu sich)
Die kommen so schnell nicht nochmal...
Denen ham´was gegeben. Ja, ja...
Wie sich´s gehört... drauf und durch.
Bell steht leise hustend an die Wand gelehnt. Arthur sitzt
zusammengekauert in einer Ecke des Raumes. Hansen starrt,
heftig atmend, geradeaus. Alle kommen langsam wieder zu sich.
Balderstein, der die ganze Zeit wie im Rausch vor sich hin
geredet hat, steht plötzlich auf.
RICHARD BALDERSTEIN
(noch im Rausch)
Jet... jetzt müssen wir ausbrechen. Das
ist die Chance. Da rechnen die nicht mit.
Wir nehmen das MG und ab durch den Wald.
Balderstein nimmt schon das MG von der Schießscharte.
GEORG BELL
Gar nichts werden wir tun.
Balderstein stockt. Er dreht sich zu Bell, geht auf ihn zu
und richtet sich auf.
RICHARD BALDERSTEIN
Herr Feldwebel, wir müssen jetzt einen
Ausbruch unternehmen.
Hansen schüttelt den Kopf.
GEORG BELL
Es ist vorbei.
RICHARD BALDERSTEIN
(irritiert)
Moment, momentmal, wir haben den klaren
Befehl bis zum Sieg zu kämpfen.
Die oberste Heeresleitung...
Bell unterbricht ihn.
GEORG BELL
(deutlich)
Die Heeresleitung sitzt in Berlin!
Balderstein erstarrt.
RICHARD BALDERSTEIN
Was?!
Hansen steht auf.
PAUL HANSEN
Nu laß mal gut sein, Balderstein. Siehst
doch, was hier los is´.
Balderstein schaut ihn fassungslos an.
RICHARD BALDERSTEIN
Ihr seid Soldaten! Wir müssen doch unsere
Leute befreien.
Er zieht seine Pistole und zielt auf die anderen.
RICHARD BALDERSTEIN
Wir gehn´da jetzt raus!
GEORG BELL
Soll'n wir alle draufgehen.
Wie ham´se sich das vorgestellt?
(er wird ruhiger)
Sind genug gestorben...
Is' jetzt vorbei, ja!
Balderstein starrt Bell an. Von außen ist ein dumpfes
rasselndes Geräusch zu hören. Bell schaut sich im Raum um.
Hansen steht erschöpft da und blickt ihn eindringlich an.
Bell will vorsichtig seine Pistole aus dem Gürtelhalfter
ziehen.
RICHARD BALDERSTEIN
Finger weg!
Balderstein baut sich auf und zielt mit der Pistole auf
Hansen und Bell. Arthur schaut hoch, Bell direkt in die Augen
und greift unbewußt die Tasche mit den Spritzen fester. Bell
gibt sich einen Ruck.
GEORG BELL
Wir ergeben uns jetzt.
Balderstein fixiert ihn, dann verzieht er den Mund zu einem
diabolischen Lächeln.
RICHARD BALDERSTEIN
Dacht ich´s mir. Der Feldwebel ist ein
Verräter. Ich übernehme das Kommando.
Bell tritt näher an ihn heran, vor die Schießscharte. Das
rasselnde Geräusch wird lauter.
GEORG BELL
Hör'n sie auf!
PAUL HANSEN
Mensch. Gegen die Amis ham' wir doch eh
keine Chance.
RICHARD BALDERSTEIN
Schnauze jetzt!!!
GEORG BELL
Balderst-
Bell wird vom Abschußgeräusch einer Panzergranate
unterbrochen und wendet sich zur Schießscharte.
AUSSEN - VOR DEM BUNKER - NACHT
Die Granate schlägt mehrere Meter vor dem Bunker ein und
Erdsplitter werden hochgeschleudert.
INNEN - IM BUNKER - NACHT
Durch die Schießscharte kommen Splitter. Arthur greift sich
an die Wange, er blutet. Dann fällt sein Blick auf Bell, der
zitternd auf dem Boden liegt, ihn mit aufgerissenen Augen
anschaut und nach Luft schnappt. Unter seinem Kopf läuft Blut
auf den Boden. Dann stirbt er.
RICHARD BALDERSTEIN
Los jetzt!
Er tritt über Bell an die Schießscharte und baut das MG ab.
Hansen steht auf.
RICHARD BALDERSTEIN
Hansen, die Munition. Arthur... los raus!
ARTHUR DROLLMANN (OFF)
Nein!
Balderstein dreht sich um. Arthur steht über Bell, in der
Hand dessen Pistole. Er zielt zitternd auf Balderstein.
RICHARD BALDERSTEIN
Mach keinen Blödsinn!
Arthur beginnt zu weinen.
ARTHUR DROLLMANN
Nein...
Balderstein nimmt das MG fester in die Hand, entsichert es
heimlich und geht auf Arthur zu.
RICHARD BALDERSTEIN
(gefährlich ruhig)
Ganz ruhig, Junge.
ARTHUR DROLLMANN
Ne... is Schluß jetzt.
Arthur zittert am ganzen Körper und weint.
Balderstein wird bestimmter.
RICHARD BALDERSTEIN
Wir gehen da jetzt raus, morgen früh sind
wir schon bei der Truppe, dann wird alles
gut, klar?
Dann kommst´e wieder zu deiner Fami...
Arthur zuckt zusammen und ein Schuß löst sich. Er hallt lange
nach. Hansen starrt Arthur erschrocken an. Balderstein läßt
das MG fallen. Er ist an der Schulter getroffen.
Arthur läßt die Pistole langsam aus der Hand gleiten. Stille
herrscht im Bunker. Plötzlich hört man von außen Schritte.
Dann fliegt plötzlich eine Handgranate durch die
Schießscharte. Balderstein rennt auf Arthur zu und will ihn
zur Seite stoßen, dabei fallen beide in den Ausgangsschacht.
Hansen springt zur Handgranate und will sie aus dem Bunker
werfen. Er holt gerade zum Wurf aus.
AUSSEN - VOR DEM BUNKER - DÄMMERUNG
Im Bunker explodiert die Handgranate. Qualm kommt aus der
Schießscharte. Dann herrscht Stille.
AUSSEN - AUF EINEM LKW - DÄMMERUNG
Arthur sitzt da und starrt ins Leere. Die Feder hängt lose an
dem Band von seinen Fingern herab und bewegt sich im Wind hin
und her.
Balderstein sitzt verarztet Arthur gegenüber. ZWEI
AMERIKANISCHE GIs sitzen neben ihm. Der eine GI redet auf
Balderstein ein und stubst ihn immer wieder an. Man sieht nur
die Lippenbewegung des GI´s, man hört nicht, was er sagt.
Balderstein reagiert nicht, er starrt weiter Arthur an.
Langsam hören wir auch ihre Stimmen und andere Geräusche.
GI 1
(zu Balderstein, mit Akzent)
Hallo? Du kann nikt sprecken?
Was ist los?
Er schaut den anderen GI an.
GI 1
Whattsematter with him?
Can´t he speak or what?
GI 2
They must be deaf.
Guess the explosion of the granade
finished them of...
Die beiden Amerikaner grinsen sich an.
GI 1 schaut Arthur und Balderstein an. Arthur apathischer
Blick wird für einen Moment lebendiger und er schaut nach
oben in den Himmel. Ein Schwarm Gänse fliegt am Himmel, auf
dem Rückweg vom Süden.
AUSSEN - LANDSTRASSE - DÄMMERUNG
Der amerikanische Konvoi mit Arthur und Balderstein auf dem
LKW fährt eine Straße entlang, an der links und rechts
verlassene deutsche Militärfahrzeuge stehen und liegen.
ARTHUR DROLLMANN (V.O)
Wenn sie wiederkommen, hat sie gesagt,
dann wird alles gut.
(ausatmend)
Ja!?
Schließlich verschwindet der Konvoi hinter einer Hügelkuppe,
während die Sonne langsam höher in den Himmel über dem neuen
Tag aufsteigt, und die Gänse immer weiterfliegen.
F I N E